Projektbeschreibung

Das Projekt untersucht Schiedsrichter*innen als zentrale Institution des modernen Sports und – weiter gefasst – ‚moderner‘ Gesellschaften. Es geht von der Beobachtung aus, dass Schiedsrichter unverzichtbare Akteure im Beziehungsquadrat von Regelwerk, Sportler*innen, Publikum und Verbänden sind und zugleich als Garanten für die Herstellung und Einhaltung regionaler, nationaler und internationaler Vergleichbarkeitsstandards fungieren. Auf diese Weise wurden sie einer der essentiellen Faktoren für die Etablierung und Stabilisierung des transnationalen Vergleichszusammenhangs ‚Weltsport‘, der heute eines der plastischsten Globalisierungsphänomene darstellt. Trotz dieser wesentlichen Funktion der Schiedsrichter, deren Wirken als metaphorisches Modell deutlich über den Sport hinausreicht, ist ihre Geschichte bislang kaum – und nie in einer systematisch angelegten Langzeitperspektive – untersucht worden. Diese Forschungslücke will das Projekt schließen. Es verfolgt am Beispiel zweier gezielt ausgewählter Sportarten (Fußball und Tennis), die sich durch eine ähnliche Institutionalisierungsgeschichte, aber markante Unterschiede in der Rolle des Schiedsrichters auszeichnen, die grundlegende Frage nach der Entwicklung von Aufgaben, Agieren und Ansehen der Schiedsrichter zwischen viktorianischem England und dem Weltsport der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist die Untersuchung als Sonde in zwei grundlegende soziale Prozesse konzipiert, die in der Genese des Schiedsrichters vereint und ausgesprochen anschaulich zu analysieren sind: einerseits die Geschichte von Autoritätserlangung (u.a. durch Institutionalisierung und Professionalisierung), Autoritätsstabilisierung (z.B. mittels systematischer Schulung und Verwissenschaftlichung) und Autoritätsgefährdung (etwa aufgrund von Gewalt, eigenem Fehlverhalten und Skandalen), andererseits die Geschichte sukzessiver internationaler Angleichung und Standardisierung. Mithin verbindet das Projekt gesellschafts-, internationalisierungs- und globalisierungsgeschichtliche Erkenntnisinteressen. Das für die so angelegte Analyse herangezogene Quellenkorpus ist breit gefächert und umfasst die Dokumentenbestände der entsprechenden Weltsportverbände genauso wie printmediale Quellen, Lehrbücher und – teils autobiografische – Reflexionen, die Schiedsrichter selbst verfassten.